Eine Geschichte einer Patenschaft

23.03.2019 10:49

„Jonny“ (Die Geschichte eine Patenschaft)

Kinder lieben!   Bedingungslos! Ihre Eltern, ihre Familie! Komme, was da wolle!

Egal, was ihnen schon in früher Kindheit geschieht.

So ein Liebender ist auch Jonny (Name geändert). Mehr als ein Jahr lang war er mein Patenkind des Projektes Plan haben des Kriminalpräventiven Rates der Stadt Norderstedt.

Dieser Junge wurde monatelang auf schlimmste Weise gemobbt, ohne es seinen Eltern zu erzählen. Er wollte allein damit fertig werden, um die schwere Lebenssituation seiner Eltern nicht noch mehr zu belasten. Sie hatten schon genug Probleme zu bewältigen: Scheidung, Burnout des Vaters, Depression der Mutter und ein jüngerer hilfloser Bruder. Der damals Dreizehnjährige war durch den zeitweisen Ausfall der Eltern bemüht, die Vaterrolle mit zu übernehmen. Seine eigenen Schwierigkeiten versuchte er zu verbergen und schwieg. Monatelang. Erst als er seine blauen Flecken am ganzen Körper nicht mehr verstecken konnte, kam heraus, dass er fast täglich von seinen älteren Schulkameraden verprügelt worden war. Aus Angst vor ihnen ging er nicht mehr zur Schule, hatte 49 Fehltage. Auch die Lehrer haben von den Qualen des Kindes nichts bemerkt.

„Jonny kam, schwieg und siegte“ könnte die Überschrift unserer Begegnung sein. Mit seinen verschmitzt lächelnden Augen, kurz geschorenen rot gefärbten Haaren und sehr guten Manieren schien er ein ganz normaler Junge zu sein, der seine Familie liebt, gerne Fußball spielt, kocht und Fahrrad fährt, sodass ich mich anfangs fragte, wozu braucht er eine alte Patin wie mich.

Die Sozialpädagogin hatte mir mitgeteilt, dass er gerne malen möchte. Damit konnte ich ihm dienen.

Aber zunächst sollten wir uns näher kennenlernen. Schnell hatte ich herausbekommen, dass Jonny wahrlich kein Schwätzer war. Unsere Gespräche verliefen wie ein Frage-Antwort-Spiel: nur wenn ich ihn fragte, bekam ich, immer sehr nett und höflich, eine Antwort. Von ihm selbst kamen nie Fragen.

Unseren ersten gemeinsamen Ausflug ins Hamburger Miniatur Wunderland werde ich ganz bestimmt nicht vergessen.

Zu meiner Verblüffung kannte Jonny jedes noch so kleine Detail der nachgebauten Welt auf der riesigen Ausstellungsfläche.

Über jeden Sportplatz, Flughafen, jede Zugverbindung, jede Seilbahn, einfach über alles wusste er oft sogar den geschichtlichen Hintergrund.

Sofort übernahm er die Rolle des Lehrers. Ich war seine Schülerin. Total beeindruckt und voll des Lobes freute ich mich, dass er es genoss, all sein Wissen mit mir zu teilen.

Und siehe da: er redete. Drei Stunden ununterbrochen. Er war in seinem Element. Mir wurde klar, Jonny war ein sehr guter Berichterstatter.

Aber was war mit seinen Gefühlen?

Beim anschließenden Mittagessen schwieg er dann wieder. Schweigen hatte er gelernt. Wer schweigt, der eckt nicht an, der fällt nicht auf.

Wie konnte ich Jonny spielerisch zum Sprechen „überreden“? Ich wusste inzwischen, dass er gerne Fußball spielt, sogar im Verein. Davon hatte ich keine Ahnung. Also bat ich ihn, mir mehr davon zu erzählen. Schon blühte Jonny wieder auf, war wieder mein gesprächiger Lehrer. Dank seines Unterrichts weiß ich endlich, warum Fußball so spannend sein kann.

Ich sagte es ihm. Er strahlte.

Während unserer Treffen wurde mir bewusst, dass Jonny ein sehr begabter neugieriger Junge ist, der schnell lernt, wenn man ihm etwas anbietet, das ihn interessiert. Vor allem, wenn man ihm dafür Anerkennung gibt.

Jonny wollte malen. In meinem kleinen Studio standen Staffelei, Farben, Malpappe und jede Menge Zeit für ihn bereit. Nach einer kurzen Einweisung merkte ich, dass er ganz viel Raum für sich brauchte. Kein Problem.

Auch die erste Malstunde ist für mich unvergesslich.

Jonny’s Augen glänzten, als er zum Pinsel griff. Ganz ruhig ins Malen versunken, entstand großflächig ein Bild: blauer Himmel, grünes Gras, graues Haus, gelber Zaun. Heile Welt.

Plötzlich sein hastiger Griff zum dicksten Pinsel. Jonny legte los. Im Nu raste ein gewaltiger Sturm aus dicker grauer Farbe über das fertige Bild.

Die Staffelei knarrte und bebte, während der breite Pinsel immer wieder im Sturmgebraus über die Pappe tobte. Der Junge war bereit, sein Bild zu zerstören.

So wütend war er. All sein Leid, all seine Wut strömten von ganz tief drinnen aus ihm heraus. Jonny war im Prozess. Jonny malte seine echten Gefühle. Endlich! Und er konnte über sie sprechen. Ich konnte miterleben, wie gut ihm das tat. Und mir auch. Tief berührt wusste ich, dass er weitermalen und seinen Gefühlen mehr und mehr freien Lauf lassen würde. Es folgten lauter Meisterwerke. Seine Bilder wären eine Ausstellung wert.

Sein Maltalent hat mich immer wieder beeindruckt. Dadurch, dass Jonny über seine Gefühle sprechen wollte, sind wir uns langsam nähergekommen.

 

So erfuhr ich auch, dass er davon träumte, Gitarre zu spielen. Doch er traute sich nicht, diesen Traum wahr werden zu lassen, weil er in seiner schweren Zeit seine Gitarre in einem Wutausbruch zertrümmert hatte. Mir schien, dass er sich ein wenig schämte, als er mir das erzählte.

 

Jeder weiß, dass Träume wahr werden können. So auch für Jonny. Seine Familie sorgte dafür, dass er eine neue Gitarre bekam.

Mit finanzieller Unterstützung von Plan haben und seinem Vater ist er seit September 2018 Mitglied und begeisterter Schüler der Musikschule des Kulturamtes der Stadt Norderstedt

Ich fühlte, es wurde Zeit, mich von Jonny zu verabschieden. Er war nun 15 Jahre alt, ein Jugendlicher im Aufbruch, der - da bin ich ganz sicher - mit Hilfe seiner Familie seinen Weg gehen wird.

Zurückblickend war die Zeit mit Jonny für mich ein besonderes Erlebnis.

Da ich selbst keine eigenen Kinder habe, war ich anfangs nicht sicher, ob ich dem Angebot einer Patenschaft von Plan haben gewachsen wäre.

Heute weiß ich, dass es eine Chance und ein Geschenk war, einen jungen Menschen ein Stück seines Weges begleiten zu können.

Jonny hat nicht nur mein Herz ein Stückchen weiter geöffnet. Ich konnte auch ein großes Stück mehr über mich selbst erfahren, über meine Eigenarten und vor allem über meinen Umgang mit Menschen: „Bin ich geduldig genug? Kann ich gut zuhören? Erkenne ich, welche Hilfe dieses Kind jetzt wirklich benötigt?

Bin ich kreativ genug, um seinen Bedürfnissen zu folgen? Werden wir es irgendwann schaffen, einmal albern zu sein und herzlich zu lachen?“

 

Das Gute: ich war als Patin nie wirklich allein. Bei den regelmäßigen Patentreffen, unterstützt von der pädagogischen Beraterin und den Mitgliedern der Lenkungsgruppe von Plan haben, konnte ich jederzeit Rat und Hilfe bekommen. Allen ein dickes Dankeschön für ihre kompetente Begleitung.

 

Heute kann ich voller Dankbarkeit sagen, dass meine Patenschaft bei Plan haben mein Leben bereichert hat und es immer noch tut. Deshalb kann ich jedem Interessierten aus tiefstem Herzen empfehlen, einmal Pate für einen verhaltensauffälligen jungen Menschen zu sein. Diese Erfahrung kann Leben verändern!

Sophie Wilkens

Im März 2019

 

Mehr Info:                                    www.plan-haben-norderstedt.de

Projektleitung: Wolfgang Banse: info-kpr-norderstedt@wtnet.de